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„Der Niqab ist meine zweite Haut“

Foto: privat

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Eine Minute braucht Amina Hassan (Name von der Redaktion geändert), um in ihren islamischen Ganzkörperschleier „hineinzuschlüpfen“, wie sie sagt. Nicht alle davon sind schwarz, rund zwanzig verschiedene hängen in Beige-, Braun- und Rosatönen im Schrank der 31-jährigen Mutter. Sie sind frisch gebügelt, hängen unspektakulär auf Kleiderbügeln – und doch spalten sie derzeit die Gemüter wie kaum ein anderes Kleidungsstück. Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern wohnt die Deutsch-Irakerin in München. Seit sie 26 ist, trägt sie einen Niqab. Amina hat zwei jüngere Schwestern und ist die einzige in der Familie, die sich für eine Vollverschleierung entschieden hat. Ihre Eltern arbeiten als Mediziner in München. 

Frauen wie Amina bezeichnen sich als „Niqabis“. Dieses Outfit wird in der öffentlichen Debatte oft fälschlicherweise als Burka bezeichnet (eine Bildergalerie, die die verschiedenen Kopftücher muslimischer Frauen erklärt, findet ihr hier). Doch eine Burka bedeckt das gesamte Gesicht der Frau, ist vor allem in Afghanistan üblich und fällt durch ihre blaue Farbe auf. In Deutschland ist diese sehr selten. Ein bisschen häufiger ist der Niqab. Schätzungsweise 100 Frauen tragen hierzulande einen Niqab, sagt die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor. Eine von ihnen ist Amina Hassan.

Zum Niqab ("Gesichtsschleier“) gehören ein weiter Rock oder ein schwarzes Gewand („Abaya“), und ein Kopftuch („Hijab“), das bis über die Schultern reicht („Khimar“). 

jetzt: Was bedeutet für Sie die Vollverschleierung?

Amina Hassan: Ich habe die Freiheit, zu bestimmen, wer was von meinem Körper wann sieht. Frauen werden immer nach ihrem Aussehen bewertet. Heute ziehe ich mich einfach neutral an.

Sie bezeichnen den Niqab als neutral?

Ja, der Niqab ist meine zweite Haut. Ständig wird von Freiheit gesprochen, aber wenn man uns zwingt, ihn auszuziehen - wo bleibt dann die Freiheit?

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Amina Hassan in ihrem Niqab.

Foto: privat

Die Innenminister haben sich nun auf das Verbot geeinigt. Der Niqab soll in öffentlichen Bereichen, wie zum Beispiel in der Schule, in der Kita oder vor Gericht, zu verboten werden. Was halten Sie davon?

Man sollte fair bleiben und den Niqabis eine Chance geben. Viele von uns streben nach Wissen. Ein Verbot würde dazu führen, dass wir zu Hause bleiben müssen. In der Schule sollte man mal über andere Kleidervorschriften nachdenken (lacht).

Wie meinen Sie das?

Wir hatten in der Schule eine junge Lehrerin, die immer einen weiten Ausschnitt getragen hat. Das hat die Jungs in der Klasse sehr abgelenkt. Ein Mädchen trug immer eine tiefsitzende Hose, die Jungs haben ständig ihren Tanga bewundert.

Abgesehen von der Kleidung: Warum verschleiern Sie auch Ihr Gesicht?

Weil die Frauen des Propheten den Gesichtsschleier getragen haben und sie meine Vorbilder sind. Und ich weiß, dass es das Beste für mich als Frau ist – sogar im 21. Jahrhundert.

Wie ist das zu verstehen?

Ich fühle mich mit meinem Niqab frei. Heute muss ich nicht mehr mit der Masse mitschwimmen und beweisen, dass ich die schönsten Schuhe, das schönste Kleid habe. Und niemand soll mir vorschreiben, was ich zu tragen habe.

Viele Menschen fühlen sich verunsichert, wenn selbst die Mimik des Gegenübers nicht mehr erkennbar ist. Wie denken Sie über eine Vollverschleierung vor Gericht?

Wenn es um die Überprüfung meiner Identität geht, dann zeige ich auch mein Gesicht. Ich bevorzuge dann eine Frau, die das prüft, aber wenn es nicht anders geht, dann geht’s eben nicht anders.

Können Sie verstehen, dass Menschen ein Sicherheitsproblem in der Vollverschleierung sehen?

Ich halte diese Diskussion für sinnlos. Damit suggeriert man der Gesellschaft lediglich, man müsse Angst vor Frauen wie mir haben. Dabei stelle ich doch keine Gefahr dar. 

Verschleierung

Vier verschiedene Varianten der Verschleierung: der Hidschab (oben links), der Niqab (oben rechts), der Tschador (unten links) und die Burka (unten rechts).

Foto: AFP

Was halten Sie von einem Verbot?

Das ist doch lächerlich: Männer aus der Politik wollen mich zwingen, den Niqab auszuziehen, mein Mann hat mich aber nie gezwungen, ihn anzulegen. Es war meine freie Entscheidung. Wer übt hier also Zwang auf wen aus?

 

Glauben Sie, ein Verbot wird dazu führen, dass weniger Frauen den Niqab tragen?

In Frankreich hat sich seit 2011, als das „Burka-Verbot“ in Kraft getreten ist, auch nicht viel verändert. Die Frauen, die den Niqab aus Überzeugung tragen, werden ihn auch weiterhin anbehalten.

 

Haben Sie keine Sorge, dass die Angst vor dem Islam durch das Tragen des Niqabs weiter steigt?

Seit der Flüchtlingskrise kippt die Stimmung im Land sowieso. Wenn ich mit den Kindern rausgehe, habe ich Angst, dass jemand handgreiflich wird. Ich muss es akzeptieren, aber schön ist es nicht.

 

Was machen Sie, wenn es zu einem generellen Verbot kommen sollte? Gehen Sie gar nicht mehr auf die Straße?

Es gibt immer eine Lösung. Ein Sponsor, wie in Frankreich, der unsere Strafen bezahlt.* Oder ich gehe wirklich nicht mehr so oft raus.

 

*Anmerkung der Redaktion:

In Frankreich müssen Niqab-Trägerinnen eine Strafe von 150 Euro bezahlen. Der algerische Geschäftsmann Rachid Nekkaz gründete 2010 den Verein "Touche pas à ma constitution" ("Finger weg von meiner Verfassung"). Er bezahlt die Bußgelder der Niqab-Trägerinnen, die sich weigerten, ihre Schleier abzunehmen. Fast 200.000 Euro will Nekkaz nach eigenen Angaben bereits gezahlt und dafür eine Immobilie im Großraum Paris verkauft haben.

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