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„Das ist wie ein Stammtisch, der total eskaliert“

Bild: Hooligans gegen Satzbau

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Die Verantwortlichen von Facebook hatten sich das sicher anders vorgestellt: "Dass wir von euch für unsere Arbeit ausgezeichnet werden, ist absurd!", sagt die Frau mit der weißen Skimaske, und übt heftige Kritik an dem Unternehmen, das sich am Dienstagabend mit der Verleihung des "Social Hero Awards" als engagierter Kämpfer für eine bessere Welt darstellen wollte. Während die "Hooligans gegen Satzbau" nämlich täglich auf menschenverachtende Inhalte auf Facebook hinweisen, tut das Unternehmen selbst bisher herzlich wenig dagegen.

Eine der Skimaskenträgerinnen ist Kiki Klugscheißerhool, Mitte 30 und ehrenamtlich bei den "Hooligans gegen Satzbau" im Kampf gegen Hetzer  mit Rechtschreibschwäche aktiv.

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Kiki Klugscheißerhool

Bild: Hooligans gegen Satzbau

jetzt: Kiki, wo steht euer Smart Hero Award gerade?

Kiki Klugscheißerhool: Der liegt gerade noch bei uns im Auto. Wo der dann hin soll, wissen wir noch nicht. Unsere Kinder haben Interesse bekundet.

Wie haben denn gestern die Veranstalter auf eure Rede reagiert? Waren sie sauer?

Die Reaktionen waren erstaunlich positiv. Während wir gesprochen haben, hat man schon einen gewissen Schockzustand in den Gesichtern sehen können. Aber der Organisator von der Stiftung Digitale Chancen, die den Preis gemeinsam mit Facebook verliehen hat, kam direkt nach der Rede auf uns zu. Wir haben uns dann sehr lange unterhalten, in seinem Fall vor allem über die in der Rede angesprochenen Hasskommentare auf der organisationseigenen Facebookseite. Meine Kollegin Elsbett hat auch mit einer Facebook-Verantwortlichen geredet. 

Was hat die zu eurer Kritik gesagt?

Der Grundtenor war, dass Facebook ja bereits sehr viel gegen Hass tue und  weltweite Vorgaben dagegen aufgestellt habe. Aber man sähe natürlich auch unsere Arbeit und wäre bereit, sich zu zu einem ausführlichen Gespräch zu treffen.

 Was würdet ihr denn verbessern, wenn man euch bei Facebook freie Hand ließe?

Wir haben da kein Patentrezept, das ist auch nicht unser Ziel. Wir sehen nur, dass Facebook mit seinem Netzwerk eine völlig neue Gesellschaft im Netz erschaffen hat. Und eine Gesellschaft braucht Regeln, an die man sich halten muss, und deren Einhaltung auch kontrolliert wird. Dafür fühlt sich aber momentan niemand so richtig zuständig. Und das muss sich ändern. Das fängt bei ganz kleinen Dingen an: Wenn wir mit "Hooligans gegen Satzbau" schon erfolgreich Menschen dazu motivieren, Hasskommentare sofort an Facebook zu melden, dann muss da einfach auch ein Mitarbeiter sitzen, der sich drum kümmert. Facebook behauptet, sie hätten bereits solche Mitarbeiter. Aber kann es sein, dass ein solcher Mitarbeiter einen Kommentar wie "schmeißt die Neger zurück ins Meer" nicht als Hass einordnet? Bisher bekommt man in solchen Fällen nämlich immer nur die Standardantwort, dass der Kommentar nicht gegen die "Gemeinschaftsstandards" verstoßen hätte.

Beiträge eurer Seite wiederum wurde ja schon des Öfteren wegen angeblicher Verstöße gelöscht oder gesperrt. Wie erklärt ihr euch das?

Das legt natürlich die Vermutung nahe, dass da eben kein Mensch, sondern eine einfache Wortfilter-Maschine am Werk ist, die viel Hass durchgehen lässt und auf der anderen Seite ziemlich oft auch die Falschen löscht. Als unsere Seite einmal komplett gesperrt war, haben wir versucht, jemanden bei Facebook zu erreichen – keine Chance. Irgendwann war die Seite dann plötzlich nicht mehr gesperrt. Das ist vollkommen intransparent.

Ihr selbst tretet unter Decknamen auf. Ist das eine reine Vorsichtsmaßnahme oder wurdet ihr bereits bedroht?

Zu Beginn des Projekts sind wir noch mit unseren echten Namen aufgetreten. Da kamen sehr schnell Mails mit Sätzen wie "ich weiß, wo du wohnst und wo deine Kinder in die Kita gehen". Diese persönlichen Bedrohungen sind mittlerweile seltener geworden, allerdings läuft gerade eine Klage gegen uns. Da beschwert sich jemand, weil er nicht von uns korrigiert werden will. Ein anderer Grund für unsere Decknamen ist aber auch, dass die eigentlichen "Hools" ja nicht wir sind, sondern unsere 130.000 Follower, die täglich die Kommentarspalten nach Hass und Hetze durchsuchen.

Hast du das Gefühl, dass dieser Hass schon immer da war und sich neuerdings eben im Netz entlädt? Oder kann er sogar erst dort entstehen?

Ich glaube, es gab schon immer frustrierte Menschen. Momentan gibt es aber dazu ein klares Feindbild: den Flüchtling. Wer heutzutage das Gefühl hat, ihm nähme jemand etwas weg, der findet im Netz eine Gemeinschaft, die ihn zu einhundert Prozent in seinem Gefühl bestätigt. Auf Facebook werden ihm hunderte Seiten empfohlen, die seine Meinung widerspiegeln und wo tausende Gesinnungsgenossen vor sich hin kommentieren. Und da es keine Moderation, keine Vorgaben oder Gesprächsregeln gibt, verstärken sich die Mitglieder der Gemeinschaft immer weiter in ihrem Hass. Das ist wie ein Stammtisch, der total eskaliert, weil niemand auf den Tisch haut und sagt: "Hallo!? Wie redet ihr da eigentlich miteinander?"

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