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Rückfall in klassische Rollenbilder
Neulich war ich zum ersten Mal Trauzeugin. Auf der Hochzeit von sehr guten Freunden, die ich schon kannte, als ich sogar in niedersächsischen Supermärkten noch keine Alkopops bekam. Will sagen: Seit der siebten Klasse. Es war meine erste Hochzeit im Freundeskreis und sie war sehr schön. Wir haben getanzt, getrunken und als irgendwann morgens um fünf das Brautpaar zwischen Wunderkerzen zum letzten Tanz auftrat, dachte ich, das sei schon sehr nahe an perfekt.
„Nahe an perfekt“, weil es da eben doch eine ganz kleine Störung gegeben hatte. Keine der Feier, sondern in meinem Kopf. Und die lässt mich nicht los. Die Braut hatte mit der Pastorin, einer Frau Ende 50, darüber gesprochen, dass viele Frauen heute ja im Arm ihres Vaters in die Kirche einlaufen. Die Pastorin hatte daraufhin angemerkt, dass das ja schon eine „sehr rückschrittliche Geste“ sei, dass ein Mann die Frau „übergibt“, so, als wäre sie ein zu groß geratenes Geschenk. Und sie sich wundere, dass so viele junge Frauen das wieder wollten. Als meine Freundin mir davon erzählte, musste ich zugeben: Darüber hatte ich noch nie nachgedacht.
Frauenübergabe am Altar? Vatti um Erlaubnis bitten? Als moderner Mensch müsste man hier laut "HALT" schreien. Stattdessen finden wir das irgendwie schön
Denn auch mir erschien diese Geste bis dahin ganz selbstverständlich. In Hollywood-Filmen ist es auch immer irgendein tattriger Opi, der mit Tränen in den Augen die Braut zum Altar führt – häufig hat der zukünftige Schwiegersohn bei ihm sogar um Erlaubnis gefragt, seine Tochter heiraten zu dürfen. Nach der Zeremonie spricht der Priester dann die magischen Worte „Sie dürfen die Braut jetzt küssen“, woraufhin der Mann ihren Schleier lüftet und sie in seinen Armen versinkt. Ich fand das alles immer irgendwie schön, als kleines Mädchen hätte ich mir gar keine andere Hochzeit vorstellen können. Aber, wenn man mal drei Schritte davon wegtritt, muss man als moderner Mensch doch eigentlich laut „HALT“ schreien. Frauenübergabe? Vatti um Erlaubnis bitten? Schleier, das Symbol für Jungfräulichkeit? Und warum darf der Mann die Braut küssen, warum küssen sie nicht „einander“? Sind diese Rituale nicht alle wahnsinnig rückschrittlich???
Sind sie. Aber beim Heiraten gilt in unserer, sonst ja so gleichberechtigungsverwöhnten Generation, eine seltsame Ausnahme. Dann dürfen alle, zumindest für einen gewissen Zeitraum, wieder in ganz altmodische Rollenbilder verfallen, ohne, dass das jemand komisch findet.
Das beginnt bei vielen Paaren bereits mit der Ankündigung ihrer Hochzeit. Von da an ist sie auf einmal "so eine", die nur noch backen, basteln und mit ihren Mädels kichernd in Brautmodenläden abhängen will. Während er natürlich grummelig ist, keinen Geschmack hat und, wenn überhaupt, sich nur damit auseinandersetzt, wie viel Bier man braucht und wo man am besten ein Spanferkel organisiert. „Er kann ja auch besser mit Zahlen“, sagt sie dann völlig ernstgemeint und tätschelt seinen Kopf. Menschen, die sonst nie zu Mario Barth gehen würden, verhalten sich auf einmal, als seien sie inmitten einer seiner Sketche gelandet. Denn nichts gegen Basteln und Spanferkel – aber beharren wir nicht sonst immer auf der Vielseitigkeit des Menschen? Darauf, dass er mehr als eben diese Klischee ist? Beim Thema "Hochzeit" macht dieses Denken eine Pause.
Diese Mariobarthisierung befällt aber nicht nur das Brautpaar, sondern auch den gesamten Freundeskreis. Auf einmal regen sich die Frauen darüber auf, dass der Freund von XY beim Antrag aber nicht auf die Knie gegangen sei, dabei sei das doch "eine so schöne Geste". Männer müssen sich vor ihren Freunden dafür rechtfertigen, dass sie tatsächlich den Namen ihrer Frau annehmen. Und anstatt irgendwann mal aufzustehen und „Was ist das alles für eine antiquierte Scheiße?“ zu brüllen, erwischt man sich selbst auch bei Gedankengängen wie: „Also den Antrag sollte wirklich der Mann machen“, dabei beharrt man doch sonst auch darauf, stets selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Woher kommt das?
Eigentlich kann, auch nach längerem Nachdenken, nur eines dahinter stecken: Bequemlichkeit. Natürlich ist es angenehm, in einer Welt voller Regeln darüber, in der man sich eben nicht klischeehaft verhalten soll, einfach mal loszulassen. In der Suppe der Traditionen mitzuschwimmen, in der genaue Erwartungen an ein Hochzeitspaar formuliert sind, die man problemlos erfüllen kann. Hinzu kommt sicher bei vielen der Druck, die konservativen Erwartungen der eigenen Familie zu erfüllen – bedeutet eben Heiratsantrag, Kirche und ein gemeinsamer Nachname, am besten der des Mannes.
Aber das ist trügerisch. Diese Bequemlichkeit führt dazu, dass wir vergessen, wie sehr die Generationen vor uns gegen genau diese Rollenbilder gekämpft haben. Wie anstrengend es gewesen sein muss als Frau eben nicht die Wahl zu haben, welchen Namen man trägt oder ob man überhaupt heiratet. Diese Dinge waren in Beziehungen, so gleichberechtigt sie nach innen auch gewesen sein mögen, fest vorgeschrieben. Eine Beziehung, in der beide arbeiten, wählen oder eben auch mit den Kindern zu Hause bleiben können, war ein ferner Traum, von dem man hoffte, dass zumindest die eigenen Kinder ihn ausleben dürfen. Und wir? Fühlen uns ganz wohl darin, beim Heiraten maximal konservativ zu sein. Vielleicht auch, weil wir denken, dass es ja langfristig keinen Unterschied macht. Dass wir trotz Schleier, Brautübergabe und Nachnamen vom Mann die gleichen, freien Personen bleiben. Aber dafür müssen wir aufpassen, dass der Rückfall in alte Rollenbilder mit dem Anschneiden des Hochzeitskuchens auch endet. Denn wer will schon ein Leben lang in einem Mario-Barth-Gag gefangen sein?
Wenn ich die Hochzeitsfotos der Generation meiner Eltern anschaue, fällt mir zumindest auf, dass egal ob in weißem Kleid oder mit Birkenstock im im Standesamt die Paare meistens eine Pose haben: Sie stehen dort Arm in Arm, gleichberechtigt. Die Fotos heute zeigen hingegen oft Frauen, die sich an der Brust ihres Mannes anlehnen und zu ihm aufschauen. Viele stehen sogar irgendwo in der Landschaft und der Mann zeigt mit der Hand irgendwo hin als wolle er sagen: "Da Baby geht's übrigens lang." Problematisch wird es da, wo uns nicht mehr bewusst ist, dass das eben als Pose ziemlich problematisch ist.
Meine Freundin hat nach dem Gespräch mit der klugen Pastorin übrigens entschieden, dass sie und ihr Mann gemeinsam in die Kirche einlaufen, Arm in Arm. Auch beim Anschneiden der Torte haben sie lange diskutiert, wessen Hand oben liegt. Man kann das alles unwichtig finden. Aber die beiden werden sich ein Leben lang an diesen Moment erinnern. Und es wird die Beziehung prägen - zum Guten.