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Ich bin ein Freundschafts-Parasit

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Niemanden kannte ich. Nur diesen einen alten Freund aus der Schulzeit. Nennen wir ihn Max. Nach der Uni landeten wir zufällig beide für ­eine Weile in derselben Stadt. Max hatte immerhin ein paar mehr Bekanntschaften vorzuweisen: Da war zum Beispiel Fritz, mit dem er studiert und der ihm ein WG-Zimmer vermittelt hatte. Und Sophie, wiederum eine Bekannte eines Schulfreundes von Fritz und nun also Max’ Mitbewohnerin. Max’ Startguthaben an Sozialkontakten: Fritz, Sophie, ich. Mein Kontostand: mit nur Max gefährlich knapp im Plus. 

Einmal saßen wir zum Bier bei Max in der Küche, und irgendwann war da auch Sophie. An einem anderen Abend waren wir mit Fritz im Kino. So ging das gelegentlich, wenn ich mich mit Max traf: Ich hatte keine Bekanntschaften einzubringen, aber dann und wann war eine von seinen dabei. Und irgendwann fragte ich mich: Sind das jetzt auch meine Freunde? Oder zumindest bald? Vielleicht aber auch nie?

Ich stand irgendwie daneben. Ein Freund von ­einem Freund – das ist eine verzwickte Figur, eine ­Gestalt, die in der Regel gesichtslos bleibt, meistens nicht mehr als: ein Protagonist urbaner Legenden, derjenige nämlich, der wirklich, wirklich, mal einen Rattenschwanz in seinem Cheeseburger hatte, echt jetzt. Ein Freund von einem Freund erscheint gerade nah genug, um mehr zu sein als nur eine Behauptung, und gleichzeitig so imaginär, dass ihn niemand ernsthaft als Zeuge für irgendwas herbeirufen würde. Etwas dazwischen war ich jetzt also.

Ab wann kann man sich mit den Freunden seiner Freunde alleine treffen?

Und ich ertappte mich dabei, wie ich Vorschläge mit Hintergedanken machte, wenn Max und ich uns verabredeten. Dieses Theaterstück, wollte Sophie das nicht auch sehen? Willst du Fritz fragen? Ich hätte ja nichts dagegen. Sagte ich. Und dachte: Gib mir bitte was von deinen Freunden ab.

Was die Sache so schwierig macht:  Auch Freundschaften folgen einer Ökonomie, nur muss man sie immerzu verleugnen, um die Illusion freundschaft­licher Interesselosigkeit zu erhalten. Aber die Aufmerksamkeit, die Sympathie, die Zeit der anderen sind knappe Güter; und mit einem Freund sollte man nicht um dessen Freunde konkurrieren. Manchmal fühlte ich mich wie ein Parasit, der auf fremdes Blut spekuliert. Aber was wäre die Alternative gewesen?

Ich brauchte einen größeren Bekanntenkreis und versuchte, Max dafür einzuspannen. Selbstverständlich behutsam und selbstverständlich so, dass es nicht ­allzu offensichtlich war. So, dass alles wie nebenbei geschieht. "Kommen Fritz und Sophie auch mit", fragte ich. "Hab sie nicht gefragt", sagte er. "Okay", sagte ich, "macht ja nichts." Das Unbehagen hatte ich nicht nur Max, sondern auch seinen Freunden gegenüber. Eines Tages waren wir verabredet, Max und ich und die anderen, aber Max wurde kurzfristig krank, er schrieb eine Gruppennachricht: Sorry, kann heute Abend nicht. Und ich? Konnte ich jetzt noch?

Jeder Freundeskreis ist eine Festung: draußen das Fremde, drinnen das Vertraute.

Gut möglich, dass wir ohne Max keine Gesprächsthemen fänden. Dass wir andere Sprachen sprechen würden und ohne ihn als Übersetzer zum Schweigen verdammt wären. Dass sich schmerzhaft herausstellen würde, wie wenig uns in Wahrheit verband. Dass einzig Max’ Anwesenheit über unsere tiefen Gegensätze hinweggetäuscht hatte. Es gibt so viele Gespräche, die verstummen, wenn nur eine Person fehlt.

Die kritische Frage lautet: Ab wann kann man sich mit den Freunden seiner Freunde alleine treffen? Bis wann wäre es eine Art von Betrug und ab wann erlaubt? Ab wann weiß man, dass man sich auch ohne Mittelsmann etwas zu sagen hat? Wo endet die Bekanntschaft über Ecken und wo beginnt die Freundschaft? Es fehlt hier ein Ritual, ein klares Kriterium zur Orientierung, vielleicht ein Vertrag, ein Schwur.

Jeder Freundeskreis ist eine kleine Festung, mit einem Burggraben darum, mal tiefer, mal flacher, jenseits das Fremde, diesseits das Vertraute, und als Freund von einem Freund steht man mitten in dieser Kuhle: nah dran, aber nicht wirklich da. Man spürt die Abhängigkeit, das Ausgeliefertsein, das Daneben­stehen, die Einsamkeit.

Jedes Mal frage ich mich: Wie schafft man es aus diesem Halbdunkel? Manchmal gelingt es mir, oft nicht. Oft wurde ich kein Freund, sondern bin ein Freund von einem Freund geblieben, der Typ, der immer nur danebensteht. Manchmal reißt ein Kontakt und mit ihm der mit den anderen. Man taumelt einen Augenblick. Und dann ist es, als ob man nie gewesen ist.

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