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Nach Silvester in Köln: Interview mit einem syrischen Flüchtling
Und dann kamen die Bauchschmerzen. Wegen der Jungs. Und wegen Köln. Und überhaupt.
Bevor die Bauchschmerzen kamen, waren da eine Erfahrung, die ich in meinem Job in der Erstaufnahme für Flüchtlinge gemacht habe, und ein Gefühl. Das Gefühl, dass manche der Jungs und Männer dort anders mit mir umgingen, als ich es gewohnt war. Die Erfahrung, dass ein freundliches Gespräch schneller in eine Flirt-Situation kippte. Dass es in den Gesprächen oft in irgendeiner Form darum ging, dass ich eine Frau bin und ob ich verheiratet sei.
Ich fragte mich: Warum ist das so? Weil ich mich hier in einem anderen sozialen Umfeld bewegte als in der üblichen Deutsche-Mittelschichts-Blase? Oder weil die Jungs einen anderen kulturellen Hintergrund haben? Die Fragen und das ganze Thema interessierten mich. Beschäftigten mich. Das Frauenbild und das Geschlechterverhältnis schienen mir Teil der Integrationsdebatte zu sein.
Aber dann kam das neue Jahr und mit dem neuen Jahr kamen Köln und die Bauchschmerzen. Denn das Thema fing an zu brennen, wurde hier durchanalysiert, dort instrumentalisiert. Und ich hatte plötzlich Angst, dass ein Gedanke wie „Puh, jetzt ist er aber aufdringlich, aber sicher kennt er es von zu Hause nicht anders“, den ich ab und an schon gedacht habe, einfach grundlegend rassistisch ist. Und wahnsinnig unfair gegenüber den vielen verschiedenen jungen Männern (und Frauen!) aus Syrien, Afghanistan, Nigeria und anderen Ländern, die ich im letzten Jahr getroffen habe. Dass man über das Thema nicht sprechen darf oder zumindest nicht so.
Darüber wollte ich einen Text schreiben. Noch mehr Bauchweh. Ich suchte mir Gesprächspartner für den Text. Immer noch Bauchweh. Aber mit den Gesprächen wurde es besser und mir wurde klar: Natürlich darf man über das Thema sprechen. Man muss sogar. Jetzt erst recht. Um es den Pegidisten, Rechten und Hetzern wegzunehmen. Wir müssen über Frauen und Männer, das Frauenbild, das Geschlechterverhältnis in verschiedenen Kulturen sprechen. Darüber, ob es da Unterschiede gibt und wenn ja, welche. Darüber, wie wir damit umgehen wollen. Auch darüber, ob Köln überhaupt etwas damit zu tun hat, und was nach Köln anders ist, für Männer und für Frauen.
Darum werden in den kommenden Tagen an dieser Stelle Interviews erscheinen. Mit einem Migrationsforscher, einer Ehrenamtlichen, einem Syrer, einer Syrerin und einem deutsch-senegalesischen Paar. Fünf Gespräche zu einem Thema, das man ganz trocken mit „Frauenbild und Migration“ überschreiben könnte. Obwohl es auch ums Flirten geht und um Liebe, um Generalverdacht und Polygamie, um Hotpants an Schulen und um die Nackerten am Eisbach.
Hier die erste Folge: ein Gespräch mit Adnan, 23, aus Damaskus.
Adnan, 23, ist in Damaskus aufgewachsen und lebt seit dem 31. Januar 2015 in Deutschland. Vor seiner Flucht hat er in Syrien zwei Jahre Medizin studiert. Sobald er genug Deutschkurse besucht hat, möchte er sich an der Uni einschreiben und weitermachen.
jetzt: Adnan, hat sich für dich seit Silvester irgendwas verändert?
Adnan: Ich denke, es ist schwieriger für uns. Ich bin seit einem Jahr hier und habe mir nie etwas zuschulden kommen lassen. Wenn ich mir aber jetzt vorstelle, dass ich in der U-Bahn bin, sie ist voll und schwankt und ich kann mich nirgends festhalten – und dann falle ich und berühre dabei aus Versehen ein Mädchen, das ja sieht, dass ich ein arabischer Mann bin. Dann wird sie vielleicht denken, dass ich es extra gemacht habe. Dass ich sie anfassen wollte.
Im Deutschen haben wir ein Wort dafür: Generalverdacht.
Ja, viele denken, sowas gehört zu unserer Kultur. Aber was in Köln passiert ist, gehört zu keiner Kultur. Das waren einfach schlechte Menschen.
Aber es gibt Dinge, die anders sind, in eurer Kultur?
Ja, aber das heißt nicht, dass die einen recht haben und die anderen nicht. Beide haben recht. Und wenn ich hier lebe, dann will ich lernen, wie die Dinge hier funktionieren.
Wie funktionieren sie denn zum Beispiel?
Das Erste, was ich hier gelernt habe, war, dass man pünktlich sein muss. Und dass man für alles einen Termin machen muss, auch wenn ich jemanden treffen oder die Haare geschnitten haben will. Und dass man im Kino nicht ans Handy geht, wenn jemand anruft.
Ist dir so ein Alltags-Unterschied auch schon mal im Umgang mit Frauen aufgefallen?
Ja. In Syrien ist es nicht normal, dass Frauen im Bus stehen – egal, wie alt sie sind. Ich war im Zug und habe einem jungen Mädchen meinen Platz angeboten. Und sie hat gesagt: „Ich bin nicht alt!“ Danach wusste ich: In Deutschland macht ihr das nur für alte Menschen oder schwangere Frauen.
Aber gibt es auch grundlegende Unterschiede? Sind Männer und Frauen in Syrien anders zueinander als hier?
In unserer Religion ist es nicht erlaubt, dass Männer und Frauen vor der Hochzeit Kontakt haben. Aber ich bin in Damaskus aufgewachsen, dort und in anderen großen Städten war der Kontakt ganz normal, Jungen und Mädchen waren befreundet, haben viel zusammen unternommen. Es halten sich eben nicht alle an die religiösen Vorschriften.
Und wie ist es mit Beziehungen?
Oh, das ist ein großes Thema… Es gibt bei uns mehr Regeln und verschiedene Stufen einer Beziehung, bis hin zur Ehe. Hier muss man ja zum Beispiel nicht verheiratet sein, um zusammenzuleben oder Kinder zu haben.
Was findest du besser?
Beides hat Vor- und Nachteile. Das Gute hier ist, dass man Zeit hat, die andere Person richtig gut zu kennenlernen, bevor man heiratet. Andererseits hat früh heiraten auch gute Seiten, weil die Familie meist nicht so leicht kaputtgeht.
Findest du die Vorstellung schwierig, eine deutsche Freundin zu haben?
Ich nicht, aber ich glaube, dass es für viele schwer ist. Ein paar Freunde von mir aus Syrien sind weniger offen, sie verstehen nicht, wie man mit einer Frau leben kann, ohne verheiratet zu sein. Und dass deutsche Frauen nicht heiraten wollen, ohne vorher eine lange Beziehung geführt zu haben.
Und die Zeit vor einer Beziehung, das Flirten und Anbahnen? War das in Syrien anders als hier?
Wenn ein Syrer eine schöne Frau sieht, dann spricht er sie an und sagt ihr, dass sie schön ist. Das ist der erste Schritt. Ich habe das auch immer so gemacht. Mädchen hier finden das manchmal seltsam, obwohl er es ja nicht böse gemeint ist. Sie haben das nur so noch nie erlebt
Weil man sich hier keine Komplimente macht?
Die Menschen sind hier kühler. Du kannst beim ersten Treffen plaudern, du kannst sogar Sex haben – aber „Du bist schön“ oder ähnliche Sachen sagt man erst, wenn man sich schon mehrmals getroffen hat.
Glaubst du, dass Männer und Frauen gleich sind?
Nein, ich glaube, dass es Unterschiede gibt. Das heißt nicht, dass Männer oder Frauen besser sind – aber jeder hat unterschiedliche Aufgaben.
Zum Beispiel?
In Deutschland ist es normal, dass Frauen einen Zug oder einen Lastwagen fahren. In Syrien ist das für sie auch nicht verboten, aber Frauen sollen dort nicht so harte Arbeit machen. Wir finden, dass sie Prinzessinnen sind und sehr sensibel. Das ist unsere Art, sie zu respektieren. Hier werden Frauen auch respektiert, aber eben auf eine andere Art.
Aber sollten nicht alle die gleichen Chancen haben?
Eine gute Regierung kann dafür sorgen, dass Männer und Frauen die gleichen Chancen haben. Aber sie kann Männer und Frauen nicht gleichmachen.
Wieso nicht?
Das kann niemand. Wenn eine Frau zum Beispiel ein Kind kriegt, hat sie die schlimmsten Schmerzen der Welt. Ein Mann kann das nie erleben. Männer und Frauen erleben also verschiedene Dinge, sie erleben anders.
Glaubst du, dass es für Frauen oder für Männer leichter ist, in Deutschland anzukommen?
Die Reise ist für Männer leichter, aber Ankommen ist für Frauen leichter, weil die Menschen Angst vor arabischen Männern haben. Alles, was ich jetzt mache, wird angeschaut und beurteilt mit „Du bist Syrer“ und „Du bist Moslem“.
Womit wir wieder beim Generalverdacht wären. Was können wir dagegen machen?
Ich denke, die Menschen hier können helfen, wenn sie mit uns sprechen, wenn sie versuchen, uns kennenzulernen, und wenn wir sie kennenlernen können. Wenn du vor jemandem Angst hast, dann wird er das spüren. Und vielleicht bringt es ihn dazu, sich ungeliebt und unerwünscht zu fühlen – und das bringt ihn vielleicht dazu, etwas Schlechtes zu machen.
Einige Muslime haben sich ja öffentlich und stellvertretend für die Täter von Köln entschuldigt. Hilft so was auch?
Ich finde das nicht richtig. Ich finde es gut, wenn man mit so einer Aktion sagt: „Ich bin gegen das, was in Köln passiert ist! Wir sind mit den Deutschen zusammen dagegen!“ Mir tun die Frauen leid, aber nicht, weil ich Syrer oder Moslem bin, sondern weil das, was passiert ist, eine Katastrophe war. Ich muss mich dafür nicht entschuldigen. Und wenn ich etwas Gutes oder etwas Schlechtes mache, dann nicht, weil ich Syrer bin. Sondern weil ich Adnan bin.