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Elternkolumne: Wenn wir Mamas nervige Regeln plötzlich gut finden

Illustration: Johannes Englmann

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Immer, wenn mein Mitbewohner das Licht in der Küche brennen lässt, obwohl er gerade im Bad ist und duscht, ärgere ich mich. Ich stehe dann auf und mache das Licht aus – und in der Dunkelheit der Küche fühlt es sich plötzlich an, als würden meine Eltern neben mir stehen und mir lobend zunicken.

Denn sie sind der Grund für meine Sensibilität für unnötig in Betrieb genommene Lichtquellen, und nicht etwa das Wissen um den Klimawandel und der Werbespot des Bundesministeriums für Umwelt. Meine Eltern haben mir das Stromsparen eingebläut. Jetzt versuche ich, es meinem Mitbewohner beizubringen – obwohl mich meine Eltern mit ihren Licht-Ermahnungen früher so genervt hatten. Und das vielleicht Seltsamste an diesem Wandel: Ich finde ihn völlig okay.

Die Evolution der Eltern als Vorbilder geht ja in etwa so: Wir kommen als völlig hilfloses, verschrumpeltes Etwas auf die Welt. Sobald wir langsam selbst denken können, also etwa im Kindergartenalter, lassen wir den Wunsch verlauten, später mal Lehrerin werden zu wollen – weil die Mama auch eine ist. Unsere Eltern sind in dieser Phase irgendwas zwischen Superhelden und Göttern: unfehlbar, bewundernswert, nachahmenswert. Ein paar Jahre später kommt die Kehrtwende ins andere Extrem: Wir finden unsere Eltern einfach nur nervig und wollen möglichst wenig so sein wie sie. Wir tun das Gegenteil dessen, was sie tun, wir weigern uns, sie als Vorbilder zu akzeptieren. Lehrer werden wie Mama? Niemals! Und dann, irgendwann, klingt diese Rebellion gemeinsam mit den Akne-Herden ab und wir können erkennen, wie viel Gutes unsere Eltern uns eigentlich mit auf den Weg gegeben haben.

Als meine Füße noch unter dem Tisch meiner Eltern steckten, merkte ich nach und nach, dass etwas nicht stimmte. Nie hatten wir einen so vollen Süßigkeitenschrank wie den, der im Haus meiner besten Freundin aus allen Nähten platzte. Cola und Fanta gab es bei uns nur an Geburtstagen. Und unser Fernsehkonsum beschränkte sich auf eine Sendung am Tag – wir hatten allerdings auch nur fünf Sender, die Auswahl war also von Vornherein begrenzt. Kabelfernsehen bekamen wir erst so spät, dass es schon uncool war, bei GZSZ quer einzusteigen.

Meine Eltern wollten meine Geschwister und mich zu kritisch denkenden, verantwortungsbewussten Wesen formen. Was wir Kinder von diesem Plan hielten, als wir langsam in die Pubertät kamen, war: nichts.

Mein postpubertäres Gehabe brachte nichts, weil ich niemanden mehr damit nerven konnte.

Es war scheiße, nicht mitreden zu können, wenn es am nächsten Morgen im Schulbus um den 20.15-Uhr-Film auf ProSieben ging. Oder als (gefühlt) letzter Mensch auf Erden ein Handy zu bekommen, weil "Kinder doch so was nicht brauchen!" Wir waren genervt von unseren Eltern, die wir nie freiwillig als Vorbilder oder Befehlsgeber gewählt hatten. Genervt auch von Sätzen wie: "Mach das Licht aus", "Wenn die Heizung schon laufen muss, dann reicht Stoßlüften auch" und "Nur einmal getragene Sachen müssen nicht gleich gewaschen werden".

Meine Geschwister und ich wollten eigene Wege gehen, und wenn die Eltern einen konsumarmen Kurs wählten, hieß das für uns eben: abnabeln, indem wir über die Stränge schlugen. Mehr Klamotten kaufen, als wir brauchten, lieber das Auto nehmen, als mit dem Fahrrad zum Freibad ums Eck zu fahren. Unsere Freunde taten es ja schließlich auch – und denen wollten wir nahe sein, nicht unseren Eltern.

So lief das über Jahre hinweg weiter. Obwohl wir uns nur murrend und widerspenstig an die Regeln von Mama und Papa hielten, ließen sich die zwei von ihren Prinzipien und Wertvorstellungen nicht abbringen. Wieso auch? Sie waren ja schon erwachsen, wussten, wie sie leben wollten und dass ihnen Dinge wie Mülltrennung wichtig waren. Und weil sie sich nicht von einer Teenagerbande beirren ließen und konsequent daran festhielten, kamen wir nicht umhin, ihre Lebensweise zu akzeptieren.

Irgendwann zogen wir Kinder aus. In der Anfangsphase meiner frisch erworbenen Freiheit hielt ich an meiner Aufmüpfigkeit fest. Ich hatte neben meinen alten Möbeln und Klamotten auch den Rest Rebellion in das neue WG-Zimmer mitgenommen. Ich kaufte Cola und Chips, glotzte stundenlang Serien und wartete angespannt darauf, dass mich jemand dabei erwischte.

Doch nach einiger Zeit wurde ich des Wartens müde. Mein postpubertäres Gehabe brachte nichts, weil in meinem neuen Studentenleben keine Eltern mehr im Türrahmen standen, die ich damit nerven konnte. Stattdessen war Platz für die Erkenntnis, dass manches von dem, was meine Eltern mir früher eingetrichtert hatten, Sinn ergab. Wenn ich zwischen den Serien mal Nachrichten sah, von Klimaerwärmung, Smog und Plastikinseln im Meer, ließ das langsam meine Abwehrhaltung gegen das Umweltbewusstsein meiner Eltern bröckeln. 

Langsam verstand ich: Es reichen schon Kleinigkeiten aus wie die Heizung über Nacht abzudrehen, um eine ganz andere Rebellion zu unterstützen als die gegen meine Eltern. Nämlich die, bei der es darum geht, sich seiner Verantwortung gegenüber der Umwelt und der Mitmenschen bewusst zu werden und dementsprechend zu handeln. Und ich erkannte auch, dass ich an dieser teilnehmen will – meine Eltern mussten mich nicht dazu zwingen.

 

Schon klar, dass nicht alle Eltern ihren Kindern etwas Gutes mit auf den Weg geben. Und auch, dass nicht alles, was meine Eltern tun, nachgeahmt werden muss. Sie waren die Vorbilder, um die ich nie gebeten hatte und manchmal sind sie das auch heute noch.

 

Aber ihretwegen schalte ich jetzt eben immer unnötig brennendes Licht aus. Ohne genervt zu sein. Sondern mit einem Gefühl der Dankbarkeit und des Stolzes auf die Menschen, die mir ungefragt so viel Richtiges vorgelebt und dadurch beigebracht haben.

 

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